Soll ich's wirklich machen oder...
Ihr lieben Hochzeiterinnen und Hochzeiter,
das Jahr neigt sich dem Ende! Man merkt das unter anderem daran, dass der Posteingang überquillt von safe-the-dates für die kommende Hochzeitssaison.
Der Familienplaner für 2019 wird also mit Blocks versehen für die Hochzeitswochenenden, die sich glücklicherweise um die anderen Großereignisse in diesem hohen Hause herumsortieren: Ein achtzehnter Geburtstag für das große Kind, ein erster für die Zwillis, ein fünfzigster für den Papa und irgendwo dazwischen war ja auch noch die eigene Hochzeit. Dabei fällt mir ein: Ich muss die safe-the-dates rausschicken...
Eins steht fest: An akuter Langeweile versterben wir hier schonmal nicht! Eingeladen zu werden ist ja auch eine feine Sache. Fein sind allerdings auch Wochenenden ganz in Familie. Und wenn man ehrlich gesteht, sind solche netten, ruhigen Abende eher spärlich gesät.
Aha, und dabei biste eingeladen! Auf das beste aller Feste auf der Gästeliste eingetragen!
Das beste aller Feste ist natürlich ein bisschen Auslegungssache. Ich habe kürzlich eine Einladung zum Abitreffen bekommen. Das ließ mich nachdenken. Über Zeit, die vergangen ist und vor allem über die Parallelen von Hochzeiten und Jahrgangstreffen. Wir reden schließlich sowohl bei Familien als auch bei Schulklassen über zufällig zusammengewürfelte Gruppen.
Festivitäten, bei denen Leute aufeinander treffen, die sich (wahrscheinlich nicht grundlos) seit 20 Jahren nicht gesehen haben, bringen nicht zwangsläufig das Beste im Menschen zum Vorschein. Wenn dann der 40. Geburtstag dräut und die ersten Tiefausläufer der Midlifecrisis die gekieste Auffahrt vorm Eigenheim erreichen, werden Menschen – nun ja, mindestens seltsam. Man wird ja wohl das eigene Leben mittels Abgleich zu vermeintlich weniger erfolgreichen Verläufen doch irgendwie noch erträglich finden dürfen!
Überhaupt „geheiratet zu werden“ ist ja für Frauen oft schon Merkmal eines gelungenen Lebens grundsätzlich, und das Internet ist zu klein um alles aufzuschreiben was mir zu dieser Einstellung einfällt.
Dann hat man Grund, die „liebe Familie“ einzuladen und sich darüber zu freuen, dass der ewig konkurrierende Bruder immerhin seine Doktorarbeit abgebrochen hat. Oder die reiche Tante wenigstens ordentlich von ihrem Gatten betrogen wird.
Im Vorfeld des Jahrgangstreffens wird darauf gehofft, dass die ehemals Klassenschönste mindestens fett geworden ist. Bestenfalls ist der ehemals unerreichbare Schwarm Alkoholiker und arbeitet beim Wachdienst. Die Streberin, die muss ja wenigstens geschieden sein, denn sonst gerät nämlich ein ganzes Weltbild ins Wanken.
Im Zweifelsfall blättert man aber einfach nochmal in Gedanken das innere Poesiealbum auf und erinnert sich an die vielen unfreundlichen Begegnungen aus der Schulzeit, als Mobbing noch kein Wort, vielen aber bereits ein Begriff war.
Vollkommen unironisch, dafür wie immer grandios und herzzerreißend auf den Punkt trifft es der von mir hochverehrte Erich Kästner in seinem Gedicht „Klassenzusammenkunft“ von 1936:
Sie tranken rüstig Glas auf Glas Und hatten Köpfe bloss aus Spass Und nur zum Hütetragen. Sie waren laut und waren wohl Aus einem Guss, doch innen hohl, Und hatten nichts zu sagen
Grundsätzlich gilt: Für keine Veranstaltung ist das Motto „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“ gelungen, auch wenn das natürlich total ironisch gemeint ist. Nicht umsonst gilt Ironie als Grobheit der Gebildeten.
Wirklich lässig kommt man durch Abende dieser Art wahrscheinlich nur, wenn man John-Cusack-mäßig auf die Frage „Und, was machst du so?“ antworten kann: „Sechsstelliges Einkommen, Geschäfte mit Totschlägermentalität, käufliche Moralvorstellungen" und es kein Witz ist, dass du Auftragskiller bist.
Nun ja, wir sind am Ende alle unseres Glückes Schmied. Also Glücksschmiede und -schmiedinnen. Mit zwei „s“, doch den Exkurs zu den Fugenlauten der deutschen Komposita verschiebe ich.
Keinen Aufschub hingegen duldet allerdings die Entscheidung, wie ich mit einer Einladung zu einer Veranstaltung umgehe, deren Vergnügungssteuerpflichtigkeit sich in sehr engen Grenzen bewegt.
Wir haben alle ein Recht auf Vergessen, auch analog, und zwar aktiv und passiv.
Die Menschen, zu denen wir wirklich Kontakt haben wollen, weil wir uns aufrichtig und liebevoll (und andersherum) für sie interessieren, die sind doch eh' schon Bestandteil unseres Lebens. Manche begleiten uns schon seit vielen Jahren, manche tauchen nach langer Zeit wieder auf und bereichern unser Leben.
Den Rest: Kannste getrost vergessen!
Da, gegen Schluss, erhob sich wer Und sagte kurzerhand, dass er Genug von ihnen hätte. Er wünschte ihnen sehr viel Bart Und hundert Kinder ihrer Art Und gehe jetzt zu Bette.