Perfekte Weihnachten - oder frohes Fest?
Ihr wundervollen Weihnachtswichtel, -engel und Herzenmenschen,
in einem meiner liebsten Weihnachtslieder lautet eine wiederkehrende Textzeile:
„Überall, überall soll Freude sein"
.Für diejenigen unter Euch, die sich jetzt gedanklich durch ihren Weihnachtslied-Kanon wühlen und besorgt feststellen: Den kenn ich nicht! Das Lied wurde in den 50ern auf Grundlage eines Gedichts von Erika Engel geschrieben und 1957 erstmals auf einer Eterna-Schallplatte des VEB Deutsche Schallplatten veröffentlicht. Ossis wissen Bescheid, Wessis lernen dazu – ist nämlich eines der schönsten Weihnachtslieder, die es gibt.
Dennoch: Überall, überall Freude – das ist ein ziemlich frommer Wunsch. Oder eine Erwartungshaltung, die extrem schnell das exakte Gegenteil von Freude bewirkt. Weihnachten ist wie kaum ein anderer Tag überfrachtet mit idealisierten Vorstellungen und treibt nicht wenige Menschen an den Rand des Wahnsinns und weit darüber hinaus.
Wie kaum ein anderer Tag außer: Tadaa! Der der eigenen Hochzeit, schätze ich.
Gerade die Damen der Schöpfung haben ja eine ungesunde Tendenz zum vermeintlichen Perfektionismus.
Die perfekte Deko, das perfekte Menü, das perfekte Outfit – da kommt so richtig Stimmung auf!
Also schlechte, leider, wenn das Leben das tut, was seine vorrangige Aufgabe ist: Passieren, während Du dabei bist, andere Pläne zu machen.
Dies wusste schon der große und wundervolle John Lennon, und deswegen hat er diese simple und grandiose Einsicht für seinen Sohn aufgeschrieben:
Wenn John es sagt, muss es stimmen.
Meine liebste Weihnachtsgeschichte ist eine, an die ich mich selber kaum erinnern kann, weil ich noch zu jung war, als sie passierte. Sie ist aber lebendiger Bestandteil unserer Familienkultur, weil sie mit Begeisterung und Hingabe Jahr für Jahr wieder erzählt wird.
Sie handelt von einer Gans (oder Ente?), und davon, wie meine Mutter über Stunden versuchte, den zähen Vogel in einen essbaren Aggregatzustand zu bekommen. Da dies nicht von Erfolg gekrönt war, weil das arme Tier offenbar an Altersschwäche verendet war und nicht unter des Schlachters Beil, flog der Vogel ein letztes Mal: Und zwar in hohem Bogen in die Mülltonne.
Meine Mutter war not amused. Es gab dann wahrscheinlich Butterstulle. Es ist aber DIESE Geschichte, die wir erzählen (und die anderen, die mit brennenden Weihnachtsmannmützen, gegessenen Christbaumkugeln und ähnlichem zu tun haben), und ganz sicher nicht die davon, als Weihnachten einmal alles „perfekt“ lief (falls es das jemals tut).
Ich habe gut reden – ich bin ja auch schon 'ne alte Frau.
Zur ganzen Wahrheit gehört die Geschichte von meinem ersten Weihnachtsfest als frisch gebackene Mutter vor 17 Jahren. Ich hatte mir alles ganz genau ausgemalt und sehr präzise Vorstellungen davon, wie Weihnachten für mein Baby aussehen sollte.
Zu diesem ausgefeilten Plan gehörte die Bestellung eines kompletten Sets Christbaumschmuck, handgefertigt, mundgeblasen, traditionelle Manufaktur, albtraumhaft teuer für eine Studentin mit Baby.
Aber es war eine Anschaffung für's Leben, dachte ich, und wartete auf die Lieferung. Viele Telefonate und beruhigende Mitteilungen der Service-Hotline später stellte sich dann am Vorweihnachtsabend heraus, dass das Paket doch nicht rechtzeitig ankommen würde.
Wer jemals versucht hat, einen Tag vor Weihnachten noch an vernünftigen Christbaumschmuck heranzukommen, weiß: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Weil nämlich alle Fachgeschäfte bereits auf die Osterdeko umrüsten.
Meine Schwiegermutter kramte Restbestände heraus, 70er Jahre-Glitzerzeug in bunt, heute wieder absolut stylish und gefragt – ich konnte mich darüber nicht freuen. Stattdessen bekam ich einen mittelschweren Wutanfall, kippte Amaretto in meinen Kaffee und fing wieder an zu rauchen.
So wird man Opfer der eigenen Zwänge. Lungenkrebs wegen Christbaumschmuck zu riskieren ist doch wirklich bescheuert, oder?
Einstein sagte (angeblich): "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."
Dieser Form von Idiotie bin ich dann doch nicht anheim gefallen.
Unser Christbaumschmuck ist heute eine wilde und farbenfrohe Sammlung aus der Abteilung: „Wenn nichts zusammenpasst, passt es wieder“ - so kann man auch problemlos nachkaufen, wenn was kaputt geht.
Außerdem haben die wilden Kerle für das Schmücken das Motto „Viel hilft viel“ ausgerufen.
Das stimmt, denn statt uns auf der Jagd nach dem perfekten Baum zu stressen, laufen wir jedes Jahr am 24. vormittags los und retten eine Tanne, die niemand sonst haben wollte. Die bekommt bei uns Asyl, die Jungs lieben diese Tradition (obwohl der Große nun bald volljährig wird) und streiten sich Jahr für Jahr vortrefflich darüber, wer an der Reihe ist, dem Baum die Spitze aufzusetzen.
Ich glaube, wir verwechseln viel zu häufig das Außen mit dem Innen.
Wir sehen all diese Bilder von perfekten Weihnachtsbäumen, Brautkleidern und perfekten Geschenkebergen und Hochzeitsringen mit perfekten Familien und Blumenkindern und wollen uns perfekt fühlen, indem wir diese Bilder mit aller Macht nachzustellen versuchen. Obwohl wir eigentlich genau wissen sollten, dass nichts so gut sein kann, wie das Original.
Und das ist im Zweifelsfall immer unser eigenes Leben.
Worum geht’s denn an Weihnachten (jenseits der christlichen Konnotation)?
Es geht darum, dass wir uns darüber freuen, zusammen sein zu dürfen – mit den Menschen, die wir lieben. Dass wir ein bisschen enger zusammenrücken, uns im warmen Lichtschein begegnen, miteinander reden, lachen, tanzen.
Und worum geht’s bei Hochzeiten? Um nix anderes.
Das wünsche ich Euch jedenfalls von Herzen. Habt ein paar gute Tage, und passt aufeinander auf.
Lasst uns die Liebe feiern!
Übrigens, die letzte Textzeile des Liedes lautet: "Überall, überall soll Friede sein"
.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten Euch.