Ich bin wach. Der Mann neben mir ist verschwunden. Wahrscheinlich unten, im Hasenzimmer, bei den Babys. Wie oft waren die wach letzte Nacht? Mit Säuglingen im Haus ist es wie auf einer Studentenparty: Am nächsten Tag weißt Du nicht, ob Du Dich erinnerst und wenn nein oder doch, wie bist Du ins Bett gekommen?
Weiterschlafen? Wäre eine Option. Man muss jede Minute nutzen. Aber es ist der erste Schultag nach den Ferien, die Großen müssen auch bedacht werden mit Aufmerksamkeit. Also aufstehen.
Aus dem Augenwinkel registriere ich im Vorbeigehen den Wäscheberg im Zimmereck. Memo an mich: Waschmaschine anschmeißen.
Schleiche auf Zehenspitzen eine Etage tiefer. Zimmertür von K1, dem Abiturienten, noch verschlossen. Nicht schlimm. Der kann mittlerweile in weniger als 14 Minuten aufstehen, in seine Klamotten fallen, nebenbei den Rucksack packen und sein Frühstück inhalieren. Und das alles mit Kopfhörern. Wahrscheinlich geht er auch mit denen duschen. Immerhin duscht er. Memo an mich: Punkt auf der Haben-Seite machen: Kind hat selbständiges duschen gelernt, sogar mit Kopfhörern.
Wenn ich es nicht besser wüsste: Vielleicht hatte er die schon an, als er aus mir rausgeflutscht ist, man weiß es nicht, ich schaue mal auf den Fotos nach. A propos Fotos: Memo an mich: Will endlich die Fotos raussuchen für die Bilderrahmen im Flur. Noch ein Memo: Will endlich die Fotoalben der Kinder fertigstellen. Also von K1 und K2. Memo an mich: Habe ich Fotos von K3 und K4?
Bei K2 brennt Licht. Also oben, an der Zimmerdecke. Der Rest vom Frühpubertisten fährt die Systeme erst hoch; nach zwei Wochen Ferien muss der Rhythmus erst wieder an diese Zeitzone angeglichen werden, das dauert! Immerhin, ein Lächeln. Memo an mich: Kein „hochfahren“- Vokabular im Zusammenhang mit männlichen Pubertisten im Morgengrauen verwenden. Könnte missverständlich wirken.
Bei K3 & K4 (Hummelfee & Rumpelwicht) noch Ruhe. Registriere aus dem Augenwinkel die aufgebrauchte Packung Klopapier vor den Badezimmern. Memo an mich: Klopapier auf die Einkaufsliste setzen.
Sammle unterwegs noch zwei Gläser, drei leere Flaschen und eine Tupperdose mit undefinierbarem Inhalt ein, um sie später in der Küche zu entsorgen. Scanne die Wäscheberge in, an und um die Zimmer von K1 und K2. Memo an mich: Zwei bis drei Waschmaschinen anschmeißen.
Habe den Mann in der Küche entdeckt. Er macht Frühstück für K1 und K2. Muss sich erst wieder eingrooven, sagt er. Macht er gut. Der liebt seine Beutekinder. Memo an mich: Mann demnächst mit irgendwas Liebevollem überraschen. Dessous. Hemmungsloser Sex. Blicke an mir runter. Kleine Korrektur: Möglicherweise reicht es auch, mit geputzten Zähnen und gekämmten Haaren ins Bett zu gehen. Vorsatz: Gleich den ollen Schlafschlüpfer gegen echte Unterwäsche und echte Klamotten tauschen. Haare kämmen. Eventuell Zähne putzen. Aber erstmal Kaffee.
K1 und K2 verlassen einigermaßen sortiert das Haus. Winke ihnen hinterher und hoffe, dass die Nachbarn bemerken, was für eine liebevolle, gut organisierte Mutter ich b... Oh, habe immer noch keinen BH an. Oder eine Hose. Möglicherweise sind das Essensreste in meinen Haaren. Schließe schnell die Tür.
Führe eine Erwachsenenkonversation mit dem Mann. Höre aktiv zu, während er mir von seinen Vorbereitungen für das erste Meeting des neuen Arbeitsjahres berichtet. Bin nicht ganz sicher, wer wen mehr beneidet: Er mich darum, das Haus nicht verlassen zu müssen oder ich ihn darum, das Haus verlassen zu können. Für einen wundervollen Moment ist es ganz friedlich und … oh, die Babies sind wach. Sie unterhalten sich in ihren kleinen Bettchen, wie süß! - Oh, möglicherweise hat K3 K4 gerade skalpiert. Klingt so. Schnell hoch.
Zwei Menschen sitzen frisch, mit sauberen Klamotten und sehr gut gelaunt im Wohnzimmer und freuen sich auf den neuen Tag. Es sind nicht der Mann und ich.
Der Mann muss jetzt wirklich los. Es gibt Tränen. Vor allem beim Mann und mir. Ich habe mich so an ihn gewöhnt über Weihnachten. Die wundervolle Zeit in der Familie, die vielen schönen Momente, und nun steigt er in sein Auto, fährt ganz allein in Ruhe in sein einsames Büro, wo er in Stille seiner Arbeit nachgeht... Ich glaube, der simuliert. Kaufe ihm die Tränen nicht ab.
Es stinkt. K4 kackt grundsätzlich nur in frisch angelegte Windeln. Kampf auf der Wickelkommode beginnt. Windeln werden knapp. Memo an mich: Windeln auf die Einkaufsliste setzen.
Hatte sieben nonverbale Debatten mit K3 und K4 über: Fusseln auf dem Teppich (nicht essen), Steckdosen (nicht anfassen), Kabel (nicht essen, nicht anfassen), meine Haare (nicht rausreißen), Haare von K4 (nicht rausreißen), Nuckel (nicht klauen). Memos an mich: Fussel vom Teppich saugen. Steckdosensicherungen überprüfen. Mehr Nuckel kaufen. „Perücke anfertigen lassen“ googeln.
Es klingelt. Der Postbote bringt ein Päckchen. Ich erinnere mich: Hatte noch mehr Steckdosensicherungen bestellt. In der Kälte fällt es zuerst mir auf: Ich habe immer noch keinen BH an. Dann dem Postboten. Memo an mich: Anziehen wie ein erwachsener Mensch! Wo ist eigentlich der andere Still-BH?
Überprüfe die Wohnung auf Kindersicherheit. Während ich befriedigt feststelle, dass nun wirklich keine Kabel erreichbar herumliegen oder Gegenstände in Fallhöhe herumstehen, essen die Babies eine abgestürzte Amaryllis-Blüte. Ich google zügig, aber nicht hektisch: „Amaryllis giftig“. Panikattacke. Erinnere mich daran, dass ich als vierfache Mutter souverän und organisiert bin. Widerstehe dem Drang, mit lila Blaulicht in die Notaufnahme zu fahren. Rufe die Gift-Notruf-Nummer an, die am Kühlschrank hängt und bin insgeheim stolz auf meine sehr gute Organisation.
Stelle fest, dass die Rufnummer nicht mehr gültig ist.
Während ich „Giftnotruf“ google, überprüfe ich aus dem Augenwinkel, ob die Babies bereits Schaum vor dem Mund haben. Haben sie, aber vor Wut, weil ich ihnen die Amaryllis weggenommen habe.
Die Dame vom Giftnotruf ist entspannt, sagt: Man darf nicht alles glauben, was bei Wikipedia steht, rät, abzuwarten und gibt schlussendlich den Hinweis, die Amaryllis in Zukunft trotzdem nicht zu hoch zu stellen, da Kinder eher vom Klettern Schaden davontragen als von Amaryllis.
Memo an mich: Sehr wertschätzenden Blogbeitrag über Giftnotruf verfassen. Keine Amaryllis mehr kaufen.
Die Babies spielen ruhig. Üblicherweise ein Zeichen für nix Gutes, im Moment jedoch friedlich-schiedliches Beisammensein. Klappe hoffnungsfroh meinen Laptop auf. Möchte gern noch einen Text ...
Die Hölle bricht über die Louis-Braille-Straße herein. Der Rumpelwicht hat der Hummelfee etwas weggenommen und sie ihm dafür eins mit dem Holzbaustein übergezogen. Oder andersherum. Kann nicht denken, das schrille Geschrei lässt alle Synapsen in katatonische Schockstarre verfallen.
Nach ermüdenden Minuten des Spielens mit Bauklötzen wage ich es, einen Blick Richtung Laptop zu werfen. Sofort destruktiv-agressive Reaktionen vom Spielteppich. Die riechen das förmlich wie die Hyänen den Kadaver. Ich gebe auf und beginne, die Zeit bis zum Mittagschlaf rückwärts runter zu zählen. Bei Astro-Alex fühlt sich der Countdown bestimmt glamouröser an.
A propos Astro-Alex: Windeln wechseln. Memo an mich: Der Windeleimer ist voll. Noch ein Memo: Nachbarn mit selbstgekochtem Chutney bestechen, damit wir ihre Restmülltonnen für die Windelberge mitbenutzen dürfen. Noch ein Memo: Chutney kochen.
Die Hummelfee hat etwas hervorgewürgt, das an das Zeug erinnert, das Katzen oder Eulen auskotzen. Es liegt in einer brockigen Pfütze halbverdauter Milch. Wische auf. Währenddessen zerrt der Klopsfrosch den Laptop vom Sofa. Ich möchte weinen, aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen: Weil die Kleinen schon so fit sind und mobil. Und weil die Kleinen schon so fit sind und mobil.
Endlich Zeit für den Mittagsbrei. Schmeiße den eingefrorenen Pamps in die Mikrowelle. Memo an alle Besserwissermütter: Mikrowelle ist ok, wenn ich das sage. Haltet die Klappe und dampfgart schön weiter. Oder singt euren Babybrei von mir aus in den richtigen Aggregatzustand.
Memo an alle anderen Survival- Eltern: Macht doch einfach, was Ihr wollt. Wenn es für eure Babies funktioniert und für euch, ist es richtig. Ende der Durchsage.
Windelwechsel. Kämpfe vier Arme, Hände und Beine in Schlafanzüge und -säcke. Dabei fällt mir auf, dass ich meinen Schlafschlüpper immer noch anhabe. Druckbetanke die Babies mit ihrer Milchpulle. Sie schlafen, gottseidank.
Jetzt aber schnell alle wichtigen Anrufe erledigen, bevor das Gekreische oben losgeht! Ach nee, ist ja Mittagszeit. Erreicht man ja niemanden.
Memo an mich: Anrufe gleich morgen ganz früh erledigen. Idee entwickeln, wie die Babies zwischenzeitlich abzulenken sind. Memo an mich: Irgendein grässlich blinkendes, Geräusche produzierendes Plastikspielzeug kaufen, das die Babies für zehn Minuten ablenkt. Memo an mich: Hat die Oma ja schon gemacht. Memo: Dachboden nach aussortierten Baby-Spielzeugen durchsuchen.
Wenigstens schnell ein bisschen was aufschreiben. Ach, und Essen wäre vielleicht auch sinnvoll. Schmeiße eine Tütensuppe auf den Herd, in der koche ich die Reisreste von vorgestern und die Kartoffelreste von gestern auf. Das zählte schon zu Studentenzeiten als vollwertige Mahlzeit. Aber damals waren es Reste nur von meinem eigenen Teller. Egal, macht satt.
Versuche, die unfassbar überwältigende Müdigkeit zu verdrängen. Irgendwo steht doch noch mein kalter Kaffee. Zehn Sätze schaffe ich, bestimmt.
Ach, und auf's Klo könnte ich auch mal gehen. Mir fällt auf, ich trage immer noch den Schlaf-Schlüpper. Später, jetzt gilt es jede Minute zu nutzen.
Habe versucht, mich nicht von E-Mails, Social Media und eingehenden Anrufen ablenken zu lassen. Fokussiert und konzentriert arbeiten. Hat schon im Studium nicht besonders gut geklappt. Lese in einem Mütter-Forum Beiträge über die Unvereinbarkeit von Familie und Beru...
Oh. Die Babies sind wach. Ich bin müde, fällt mir auf.
Sekunden, Minuten, Äonen schleppen sich dahin. Ich stapele Klötzchen aufeinander.
Gebe dem unwiderstehlichen Drang nach, den Mann auf der Arbeit anzurufen. Höre die Vorzimmertante mit den Augen rollen. Egal, ich brauche Kontakt zu einem erwachsenen Menschen. Melde mich, als er endlich dran ist, aus Versehen mit „Dada“.
Der Mann weckt mich. Ich bin auf dem Fußboden sitzend, mit dem Gesicht im Sofa, eingeschlafen. Die Babies spielen friedlich auf dem Teppich. Während ich versuche, meine Halswirbelsäule wieder einzurenken, freut sich der Mann über unsere entspannten Kinder und bringt sie ins Bett.
Versuche, Konversation mit dem Pubertisten über die Schule zu machen. Er grunzt und versucht sich unauffällig Richtung Computer wergzustehlen. Fortnite ist der Endgegner jeder Familienkommunikation. Vielleicht sollte ich mir einen Account zulegen. Wenigstens ist für die Schule nichts zu erledigen.
Versuch, ein Familienessen am Tisch hinzubekommen. Der Abiturient muss weg zu einer Demo. Der Pubertist mag das Essen nicht. Der Mann und ich schauen uns verliebt über unsere Teller an und stellen uns vor, dies wäre so etwas wie Quality-Time für Erwachsene. Man muss sich nur die Bauklötze, Spucktücher und verweltkten Amaryllis wegdenken und das Licht ausmachen, und schon ist es fast wie ein Restaurant. Eins, in dem man mit Schlafschlüppern essen gehen darf.
Dem Pubertisten ist eingefallen, dass er noch sieben verschiedene ausgefüllte Zettel für die Schule benötigt. Selbstverständlich bis morgen. Die Zettel bewirken, dass der Posteingang für Memos in meinem Hirn kurzzeitig implodiert.
Ich falle ins Bett. Zähne putzen ist wichtig, habe ich dem Pubertisten vorhin noch ausführlich erläutert. Ach, Memo an mich: Zahnarzttermine machen.
Wenigstens habe ich den Schlafschlüpper noch an.