Die Regenbogenbrücke
Wenn es etwas gibt an meiner Arbeit, das ich wirklich ätzend finde, dann ist es dies: Ich verpasse so viele wundervolle Menschen.
Und wenn es etwas gibt, das ich absolut fantastisch finde, dann das: Ich lerne so viele wunderbare Menschen kennen.
Lukas habe ich verpasst.
Kennenlernen durfte ich diesen zauberhaften Jungen mit den blauen Augen und dem ansteckendsten Lachen der Welt nur aus den Erzählungen seiner Familie und den Fotos und Videos, die es von ihm noch so zahlreich gibt.
Fünf Jahre war er alt, als bei ihm Leukämie diagnostiziert wurde. Der kleine Kerl, der so gern Fußball spielte und das Leben seiner Familie durcheinanderwirbelte, war richtig schlimm krank.
Von einem Tag auf den anderen ging es nicht mehr um den Streit mit seiner Schwester, die Einschulung oder seinen Traum davon, eines Tages mal ein Restaurant zu eröffnen. Jetzt ging es um's Überleben. Hunderte Lumbalpunktionen, unzählige Transplantationen und Therapiezyklen hat Lukas mit unfassbarer Stärke und mit Kampfgeist über sich ergehen lassen.
Lukas hat nicht nur alle Up's und Down's ertragen. Darüber hinaus hat er seinen Lieblingsmenschen Mut gemacht, hat immer wieder gesagt: "Scheiß drauf, wir schaffen das!" Er hat dem Schicksal immer wieder ein Schnippchen geschlagen und für medizinische Überraschungen gesorgt. Vor allem aber hat er, dieser kleine Kerl, obwohl er nichts zuzusetzen hatte - doch allen Menschen so viel gegeben.
Von Lukas ging ein Leuchten aus, das immer noch wie ein Leuchtturm hinausstrahlt in die Dunkelheit, die Trauer eben mit sich bringt. Er hat der Angst, der Krankheit und dem Tod sein Lachen entgegengesetzt.
Lukas' Löwenherz hat aufgehört zu schlagen, kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag. Von den zwölf Lebensjahren, die ihm vergönnt waren, hat er mehr als acht gekämpft wie ein ganz Großer.
Er war und bleibt Inspiration und Ansporn: Dafür, sich in den Wind zu stellen. Zu sagen "Scheiß drauf!". Zu kämpfen. Und zu leuchten.
Umgeben war Lukas von wundervollen Menschen, die ihn mit übermenschlicher Kraft begleitet und unterstützt haben. Seine Mama und sein Papa, seine Großeltern, seine Geschwister, seine Freunde: So viele haben alles in die Waagschale geworfen , um Lukas' Wünsche wahr werden zu lassen, ihm einen guten Tag zu ermöglichen und ihn spüren zu lassen: Wir sind immer für Dich da.
Am Tag vor Lukas' Trauerfeier sind alle zusammengekommen. Lukas' Zuhause war liebevoll und detailverliebt mit unzähligen Luftballonen und Fotos geschmückt, niemand trug schwarz, es gab Kuchen und Spiele für die Kinder. Es war fast wie eine Geburtstagsfeier.
Seine wundervolle Tante Kerstin (die, das darf ich wohl sagen, so etwas wie seine zweite Mama war) hatte diese Idee für eine Regenbogenfeier.
Da sollte es nicht ums Abschiednehmen gehen. Der Tod sollte keinen Raum haben. Es sollte eine Feier der Momente und Augenblicke sein, die alle gemeinsam mit Lukas erleben durften.
„Es gibt eine Brücke, die Himmel und Erde verbindet. Sie wird Regenbogenbrücke genannt wegen der vielen bunten Farben, aus denen sie besteht.
Wenn die Zeit eines Menschen im Land diesseits des Regenbogens abgelaufen ist, beschreitet er diesen besonderen Weg, der die beiden Welten verbindet. Jenseits der Regenbogenbrücke liegt ein Land aus Hügeln, Wiesen und Tälern mit saftig grünem Gras. Es ist das Land der Liebe und des Lichts, wo Schatten niemals den Himmel verdunkeln, denn dort gibt es keine Nacht."
Schon die alten Völker wussten von der Regenbogenbrücke. Sie ist die Verbindung zwischen den irdischen Welten und dem Reich der Götter. In den alten Sagen wird sie „Bifröst“ genannt, was soviel heißt wie „schimmernder Pfad“ oder auch „der flüchtig erblickte Regenbogen“. Wer sich im Kampf als unerschrocken, selbstlos und kämpferisch erwies, dessen Seele würde über den Bifröst nach Walhalla reisen. Walhalla ist der Ort, wo “nur die Mutigen bis in alle Ewigkeit leben”. Es ist der Himmel.
Wir dachten an Lukas als Kämpfer im Himmel und als Teil des Himmels. Wir zündeten Kerzen an für seine liebsten Menschen und Wegbegleiter. Jede einzelne soll weiterleuchten in seinem Sinne und brennen für ihn, wenn sich die Trauer gar zu dunkel auf die Seelen seiner Liebsten legt. Unzählige perfekte Kerzenflammen leuchteten in das Dunkel genau so, wie Lukas geleuchtet hat.
Wir fühlten, dass Lukas fehlte und gleichzeitig wussten wir, dass er doch überall spürbar war. In diesem Moment, als wir alle beisammen standen und an Lukas dachten, als wir uns an ihn erinnerten und an alles, was war, da wussten wir: Kein einziges Atom im Weltall geht jemals verloren.
Aus dem, was war, was ist und was sein wird entsteht im ewigen Kreislauf des Werdens, Vergehens und Neuwerdens immer wieder neue Materie. Alles kommt wieder, ist Teil des Kreislaufs der Natur und wird in diesen wieder zurückgeführt.
Das war der gute Gedanke: Dass Lukas unwiderruflich und für immer ein Teil seiner Familie, seiner Freunde, seiner Liebsten ist; Teil des Lichts und des Schattens, der Kerzenflammen, unseres Atems, des Sternenstaubs und des Regenbogens, Teil von allem, was uns umgibt.
Und das war richtig schön. Und gut.